Alexandra Bergmann, Projektleiterin beim Dachverband der österreichischen Sozialversicherung, gab einen Einblick in das E-Rezept-System in Österreich. Der Rollout wurde vor etwa einem Jahr abgeschlossen. Seitdem werden alle von den Krankenkassen erstatteten Medikamente als E-Rezepte ausgestellt, eingelöst und abgerechnet. Das E-Rezept wird im e-card-System betrieben, einem zentralen System mit redundanter Datenhaltung. Ärzte und weitere Gesundheitsdienstleister greifen über das Gesundheits-Informationsnetz auf das e-card-System zu, während die Versicherten eine spezielle e-card verwenden.
„Nahezu jeder der 9 Millionen Einwohner Österreichs hat eine aktive e-card“, berichtete Bergmann. Zwei Drittel dieser Karten sind bereits NFC-fähig. Die Umstellung der restlichen Karten erfolgt in den nächsten Monaten. Durchschnittlich werden in Österreich pro Monat etwa 5,7 Millionen E-Rezepte ausgestellt. Alle 1400 Apotheken in Österreich sind an das e-card-System angeschlossen.
Der Prozess der E-Rezepte in Österreich ist stark von der Softwareanbindung abhängig. Ärzten war anfangs oft gar nicht bewusst, dass sie bereits E-Rezepte ausstellten, da die Umstellung gut in die vorhandenen Arztsoftware-Module integriert wurde. Das Rezept wird in der Arztpraxis erstellt und als E-Rezept im e-card-System abgespeichert. In der Apotheke kann das E-Rezept entweder über die e-card oder über einen Ausdruck eingelöst werden. Eine App steht ebenfalls zur Verfügung, um auf die offenen E-Rezepte zuzugreifen.
Nachdem das E-Rezept in der Apotheke eingelöst wurde, werden alle abrechnungsrelevanten Daten elektronisch übermittelt. Papierbelege für die Krankenversicherungsträger sind nicht mehr nötig. Bei Abrechnungsdiskrepanzen steht den Versicherungsträgern ein spezielles Auskunftstool zur Verfügung, um die relevanten Rezeptdaten einzusehen. „Die elektronische Abrechnung erleichtert den Prozess und reduziert den Aufwand für Lagerkosten und Papier“, sagte Bergmann.
Ab dem 1. Juli 2023 wird die Suchtgiftvignette teilweise digitalisiert und im E-Rezept gekennzeichnet, privat zu zahlende Medikamente als E-Rezepte sollen folgen. Bis zum Jahr 2025 wird in Österreich die Umsetzung der e-prescription geplant, um die Einlösung von E-Rezepten auch im EU-Ausland zu ermöglichen.
Das 3. Panel von Expertinnen und Experten zum Thema „Das E-Rezept morgen“ moderierte Ralf König. Der Apotheker aus Nürnberg und Vereinsvorstand der E-Rezept-Enthusiasten e. V. eröffnete die Diskussion mit dem Hinweis auf den aktuell vorgestellten Referentenentwurf für das Digital-Gesetz und bemerkte, der „gesetzgeberische Wille“ sei darin schon zu erkennen. Jetzt stelle sich die Frage: „Wie geht es weiter? Was können wir in Zukunft vom E-Rezept und der Digitalisierung für die Versorgung erwarten?“
Das E-Rezept sei kein Solitär, sondern „ein Baustein in einem ganzen Puzzle von digitalen Neuerungen“, erklärte Dr. Juliane Kresser, Referentin der Geschäftsführung bei CGM LAUER. Es gehe nicht allein darum, ein Medikament zu verschreiben und abzugeben. Nicht nur die Logistik werde sich ändern, sondern das E-Rezept müsse mit seinen begleitenden Services betrachtet werden. Sie nannte als Beispiele die Themen Marktplatz und Lifetime-Gesundheitscoach. „Wir werden viele Daten sammeln und Erkenntnisse haben, die wir vorher in dieser Geschwindigkeit und Fülle nicht zur Verfügung hatten“, erwartete Kresser.
Reza Mazhari, Fachbereichsleiter eHealth und Digitalisierung in der Versorgung bei der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen, ergänzte, es sei in der Ärzteschaft noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten. „Bei der Digitalisierung denken viele unserer Mitglieder noch fälschlicherweise an die Telematik-Infrastruktur.“ Langsam setze sich die Erkenntnis durch, dass sie damit die Prozesse in der Versorgung für sich verbessern könnten, was letztlich auch den Patientinnen und Patienten zugutekäme.
Marek Rydzewski, Chief Digital Officer bei Barmer, betonte: „Digitalisierung an sich, im Sinne von Elektrifizierung, generiert nicht genug Mehrwert für unsere Versicherten.“ Er wolle erreichen, dass sich die Versicherten bei seiner Kasse gut betreut fühlten, „indem sie nur das tun müssen, was für sie notwendig ist“. Für Rydzewski lautet das Stichwort „Versorgungsoptimierung“. Aus seiner Sicht müssten mehr die Prozesse hinterfragt werden und weniger fertige Lösungen gesucht werden, die oft nur Ausschnitte abdeckten.
Als Beispiel nannte er „Erika“, eines der Projekte im Innovationsforum zum Thema Arzneimittel-Therapiesicherheit. Mit dem E-Rezept könnte im Moment der Verordnung sofort ein Arzneimittelcheck durchgeführt werden. Ein weiteres Beispiel sei die sogenannte Behandlungsgeschichte in der ePA, durch die Abrechnungsdaten der vorangegangenen drei Jahre für die Leistungserbringenden zugänglich gemacht würden. Rydzewski sagte, der „klare Mehrwert“ des E-Rezepts bestünde für ihn „in der Arzneimittel-Therapiesicherheit“.
Die Kunden bestimmten, erklärte Juliane Kresser, was für sie die komfortabelste und am besten am Service orientierte Lösung sei. „Couchfähig“ müsste sie im Krankheitsfall sein. An der Stelle biete das E-Rezept große Chancen für das Zusammenwirken von Patienten, Ärzten und Apotheken. Assistierte Telemedizin, Medikationsmanagement und Medikationsbegleitung könnten sich durch die digitalen Prozesse neu etablieren. „Es gibt völlig neue Wege in der Kommunikation mit dem Arzt oder der Apotheke“, erklärte sie, „der umfassende Blick zum Wohl des Patienten wird damit möglich.“
Eine fachgruppenübergreifende Zusammenarbeit begrüßte auch Reza Mazhari. Sie müsse aber klar geregelt sein, sodass keine Gruppe sich benachteiligt fühle. Bis Ende 2030 müsste die digitale Transformation so weit fortgeschritten sein, „dass der Patient sie gar nicht mehr bewusst wahrnimmt“. Es sei unbefriedigend, wenn Patienten 30 Kilometer fahren müssten, um ihre PIN-Card freizuschalten, wie es bisher noch der Fall sei. Die technische Reife vieler Prozesse fehle noch. Der Informationsstand müsse auf allen Ebenen verbessert werden. Deshalb komme der Kommunikation eine besondere Bedeutung zu. Auch die KV müsste „holistisch“ denken und ihre Mitglieder überzeugen, „dass diese Transformation kein Hype ist, sondern etwas, das alle umsetzen müssen, um ihrer Klientel gerecht zu werden“.
Oft fehle noch die Synchronisierung, räumte Marek Rydzewski ein. Das zeige sich, wenn Patienten versuchten, ein E-Rezept mit der eGK in der Apotheke einzulösen und dort erst erfahren würden, dass eine PIN dafür gebraucht würde. „Wir haben die vergangenen neun Monate nicht gut genutzt, uns auf diese eGK-Stecklösung vorzubereiten“, sagte er selbstkritisch. „Wenn Menschen von der Apotheke wieder nach Hause geschickt werden, sind die Erwartungen an das E-Rezept dahin.“
Rydzewski kritisierte auch das ärztliche Abrechnungssystem, das immer noch die Patienten zwinge, alle drei Monate „zum Karte stecken“ in die Praxis zu kommen. „Wenn die Versorgungsrealität stärker in Richtung digitaler Versorgungspfade geht, kann man das von Patienten nicht mehr verlangen.“
Mazhari räumte ein, das ärztliche Abrechnungssystem sei aus sehr alten Normen entstanden. Er sei aber nicht sicher, ob man derzeit daran rütteln sollte oder nicht. Dem hielt Rydzewski entgegen, man könne nicht davon ausgehen, „dass man im digitalen Zeitalter das alte System zu 100 Prozent übernehmen kann. Es wäre falsch, schlechte Prozesse zu digitalisieren.“ Digitalisierung führe auch zu Umverteilungen.
Das Thema wurde intensiv diskutiert. Moderator König bemerkte, es könne nicht sein, dass Ärzte schlechter honoriert würden, wenn sie auf digitale Prozesse umstellten. Reza Mazhari betonte, man müsse wegkommen vom Sanktionscharakter, der noch immer der Digitalisierung anhafte, denn das führe zu Müdigkeit bei den Leistungserbringern. Als Beispiel nannte er den Referentenentwurf zum neuen Digital-Gesetz, in dem mit „Verpflichtung“ gedroht würde. Wenn sich dagegen die Prozesse durch Digitalisierung spürbar verbesserten, würden Ärzte den Mehrwert auch akzeptieren, wenn er nicht vergütet würde. Das E-Rezept sei ja nur der Einstieg, ergänzte er, viele Innovationen würden folgen, und deshalb müsste im Gesundheitswesen mehr Bereitschaft vorhanden sein, „für diese Lösungen Geld zu investieren“. Beispielsweise habe es Doctolib geschafft, dass die Ärzte in das Buchungssystem investierten, weil sie von seinem Nutzen überzeugt seien.
Marek Rydzewski konstatierte ein „Mindset-Problem“ in der Gesundheitsbranche, „weil wir nicht weit genug denken und ein Stückweit zu perfektionistisch unterwegs sind. Wie solle man ein so großes System zum Laufen bringen, wenn man nicht bereit sei, es zu testen?“ Die Barmer jedenfalls investiere jährlich einen zweistelligen Millionenbetrag in die ePA, auch wenn das System noch nicht perfekt sei. Dem zugrunde liege „das Commitment, dass die Welt nie mehr so sein wird wie vor zehn Jahren“. Jeder müsse sich bewegen, sagte Rydzewski, ansonsten „werden wir einen Vertrauensverlust in der Bevölkerung erleben, dessen Ausmaß wir heute nicht abschätzen können“.
Ärzte würden erst auf digitale Prozesse umstellen, wenn sie deren Nutzen im Praxisalltag spürten, erklärte Reza Mazhari: „Solange das Ausdrucken des Musters 16 immer noch schneller ist als das Erstellen eines digitalen Rezepts, wird sich kein Arzt darauf einlassen.“ Krankenkassen und KVen müssten an einem Strang ziehen und die Versicherten über die Vorteile aufklären. Er sei jedoch sicher, dass mit der eGK-Stecklösung die Wende komme.
Ralf König leitete über zum Thema Künstliche Intelligenz (KI) in der Gesundheitsversorgung. Die KI sei eines der wesentlichen Elemente der digitalen Transformation, meinte Marek Rydzewski, „Das wird einfach kommen, weil wir Fachkräftemangel in allen Sektoren der Gesundheitsversorgung haben.“ Auch werde die reine Neugier der Versicherten dazu führen, dass sie sich damit beschäftigten. Dadurch könnten sich die Machtverhältnisse verschieben, prognostizierte Rydzewski. „Durch die neuen Technologien erhalten Patienten mehr ‚Empowerment‘, eine Herausforderung für uns alle – Ärzte, Apotheker, Krankenkassen.“ Man müsse Antworten darauf finden und die KI in das eigene Geschäftsmodell integrieren.
Auch Reza Mazhari erwartete „besser informierte Patienten“ durch die Ausbreitung von KI-Systemen. „Der Arzt wird 2030 nur noch konsultiert werden, wenn es wirklich brennt. Videosprechstunde, Telemedizin, Verordnungen werden so automatisiert sein, dass der Patient sich seine Dienstleistungen beim Arzt aussuchen kann“. Das sei auch eine Chance, dem künftigen Ärztemangel zu begegnen.
In der betriebswirtschaftlichen und pharmazeutischen Optimierung werde KI eine überwältigende Rolle spielen, kündigte Juliane Kresser an. Je mehr Daten intelligent verknüpft werden könnten, desto besser könne man beispielsweise Beratungsschwerpunkte oder Cluster bei Patientengruppen erkennen.
Die Zahl der Krankenkassen werde bis zum Jahr 2030 abnehmen, bemerkte Marek Rydzewski, „denn um mit dem technologischen Fortschritt mitzuhalten, braucht man andere Mittel, als sie den Kassen heute zur Verfügung stehen“. Es könne möglicherweise auch Einschnitte in den Leistungsspektren oder Verschiebungen in andere Kanäle geben, zum Beispiel in Richtung Telemedizin. Mit den neuen Techniken kämen neue, mächtige Player in den Markt. Die größten Konkurrenten seien dann die Technologiekonzerne mit ihren nahezu unbegrenzten Budgets. Auch andere Sektoren müssten sich darauf einstellen.
Ralf König beendete die Diskussion mit dem Appell, das Thema Digitalisierung gemeinsam anzugehen. „Für ein Gegeneinander fehlen uns die Energie und das Geld“, meinte er. „Gemeinsam werden wir es sogar in Deutschland schaffen, pragmatisch eine digitalere Zukunft zu haben, als wir es die letzten 20 Jahre erlebt haben.“