Das war der 2. E-Rezept-Summit

 Nach einem erfolgreichen ersten E-Rezept-Summit im März und der E-Rezept Welcome Party im Juli vollendeten das WIG2 Institut und scanacs ihre E-Rezept Eventreihe 2021 mit dem 2. E-REZEPT-SUMMIT am 23. November 2021. Beim zweiten virtuellen E-REZEPT-SUMMIT  diskutierten mehr als zwanzig Expertinnen und Experten aus der Gesundheitsbranche über die Veränderungen, die mit der bevorstehenden Einführung des E-Rezepts verbunden sind. Mit Impulsvorträgen und interaktiven Diskussionspanels wurden der gegenwärtige Stand der Entwicklung und die Auswirkungen der digitalen Verordnung auf den ambulanten und stationären Bereich eingehend analysiert. Ebenso standen Fragen der Sicherheit sowie der Transformation im Gesundheitssektor im Vordergrund.

Sie haben den Livestream am 23. November verpasst? Kein Problem!
Hier haben wir die Veranstaltung für Sie zusammengefasst. Außerdem können Sie sich den Livestream erneut in voller Länge ansehen – so oft Sie wollen: 

Geballte Kompetenz auf vier Diskussionspanels

Gemeinsam mit hochkarätigen Speaker:innen aus verschiedenen Bereichen – von der Verordner:in über die Apotheker:in und Krankenkasse bis hin zum IT-Sicherheits- und Abrechnungsunternehmen – gaben wir eine Bestandsaufnahme rund um das E-Rezept in Deutschland und beleuchteten auf vier verschiedenen Diskussionspanels das E-Rezept von allen Seiten: ambulant, stationär, sicher und transformierend. Hier fassen wir die einzelnen Panels zusammen und stellen Ihnen die teilnehmenden Referentinnen und Referenten vor.

Panel 1 – Das ambulante E-Rezept

Moderation & Impulsvortrag:

  • Fabian Kaske (Marketingagentur Dr. Kaske)

Referent:innen:

  • Dr. Juliane Kresser (CGM Lauer)
  • Professor Lutz Hager (SRH Fernhochschule)
  • Jan Reuter (Der digitale Apotheker)
  • Dr. Silke Müller (Ärztin und MdB a.D.)
  • Jaqueline Schmid (ZAVAMED)
  • Mark Langguth (Unternehmensberater)

Ärzte und Apotheker werden die Vorzüge des E-Rezeptes rasch begreifen

In seinem Impulsvortrag ging Fabian Kaske, Managing Director der Dr. Kaske Marketingberatung, auf die zu erwartenden Veränderungen durch das E-Rezept im Gesundheitsmarkt ein. Als Experte für die digitale Transformation von Gesundheitsfirmen referierte er aktuelle Ergebnisse aus seiner E-Rezeptstudie, die auf einer großen Umfrage unter 1.500 Verbrauchern basiert. Unklar sei demnach, wie Patienten künftig ihre E-Rezepte einlösen werden. Rund 60 Prozent der Befragten antworteten mit „ich weiß es noch nicht.“

Zudem wurden 85 Pharmahersteller nach ihrer Einschätzung befragt. Das E-Rezept könnte ihrer Meinung nach zu einem deutlichen Anstieg der Nutzung von Onlineapotheken führen. Die Hersteller, insbesondere die Anbieter von Rx-Produkten, gingen für 2025 von einem sechsfach höheren Online-Marktanteil aus, erläuterte Kaske, aber auch der OTC- und der nonRx-Markt in den Onlineapotheken werde stark wachsen.

In verschiedenen Szenarien wurde die Entwicklung des Geschäfts der Onlineapotheken in Abhängigkeit von der Einführung des E-Rezeptes analysiert. Allen gemeinsam sei eine zunächst langsame Entwicklung der Rx-Umsätze in den kommenden zwei Jahren, gefolgt von einer deutlichen Dynamik im Wachstum. Dabei werde die Apotheke vor Ort von der relativ langsamen Umsetzung des E-Rezeptes stärker profitieren. Mit der zusätzlichen Steigerung des nonRx-Umsatzes für Onlineapotheken bestehe die Chance, dass diese langfristig stärker wachsen als stationäre Apotheken. „Im OTC-Bereich wird heute schon jeder vierte Euro im Netz ausgegeben“, erklärte Fabian Kaske, „der Trend des Onlineapotheken-Wachstums wird sich beschleunigen.“

Die Nutzung des E-Rezeptes könnte die Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) und Telemedizin beschleunigen und damit den Patienten als Entscheider stärken. Das traditionelle Arzt-Patienten-Verhältnis ändere sich. Der Patient werde künftig nicht die Diagnose des Arztes abwarten, sondern direkt ein Medikament nach vorausgegangener Recherche bei „Dr. Google“ einfordern.

Im nachfolgenden Austausch der ersten Alltagserfahrungen wies Dr. Silke Müller, Ärztin, darauf hin, dass das E-Rezept bereits in 17 europäischen Ländern erfolgreich eingesetzt werde. „Wir kämpfen unter anderem hinter Skandinavien, aber auch Tschechien und Italien um Platz 18“, merkte Müller kritisch an. Sie bezweifelte auch, dass der 1.1.2022 als geplanter Einführungszeitpunkt des E-Rezepts gehalten werden könne. Gleichzeitig warnte sie davor, durch Drängen der Politik die positiven Seiten der Digitalisierung zunichte zu machen. „Hochtourig getanzt, aber ermüdend“, so ihr Kommentar. Das eigentliche Ziel sei, die Abläufe einfacher zu gestalten. Insgesamt brauche es eine gute Übergangsphase.

Für Jan Reuter hingegen, bekannt durch Vorträge und seinen Blog als „Der digitale Apotheker“, kann die Einführung des E-Rezepts nicht schnell genug kommen. Patienten würden sehr schnell die Vorzüge verstanden haben, meinte er. Die Apotheken müssten sich auf den Wandel einstellen und trotz aller derzeitigen Probleme im Hintergrund die Vorbereitungen für die Umstellung auf das E-Rezept treffen. Ärzte und Apotheken seien zur Kooperation aufgerufen, damit Patienten gut betreut werden könnten. „Nur, wo ein Arzt ist, ist eine Apotheke“, erklärte Reuter. Die Apotheke vor Ort könnte künftig niederschwellige Dienstleistungen übernehmen. Für dieses Miteinander sei die Politik gefragt.
Dr. Juliane Kresser, Referentin der Geschäftsführung beim Hard- und Softwareanbieter CGM Lauer, erwartete eine Kundenorientierung anhand bekannter digitaler Prozesse aus anderen Lebensbereichen. Sie führe zu einer zunehmenden Bereitschaft, Onlineapotheken zu testen. „Derjenige, der den leichtesten und einfachsten Zugang liefert, wird sich durchsetzen“, so ihre EInschätzung. Kresser forderte von der Politik die frühzeitige Benennung konsistenter abgestimmter Anforderungen und eine enge Begleitung der Testszenarien. Wichtig sei aus Apothekensicht, betonte sie, dass die Regularien die Apotheken vor Ort angemessen berücksichtigen: „Sie sind eine starke Säule des Gesundheitssystems.“

Unternehmensberater Mark Langguth ging davon aus, dass Produkte zur Akutmedikation auch künftig eher in der Apotheke vor Ort bezogen würden, während Menschen mit chronischen Erkrankungen und dementsprechend geringerem Beratungsbedarf ihre Dauermedikation verstärkt online bestellen würden. „Die Einstiegshürde im Netz ist massiv gesunken“, sagte Langguth.

„Das E-Rezept wird der Game Changer in der Gesundheitsbranche“, erklärte Lutz Hager, Professor für Management im Gesundheitswesen an der SRH Fernhochschule – The Mobile University. „Die Veränderung hat revolutionäre Ausmaße.“ Hager erhoffte sich mit dem E-Rezept den Durchbruch für integrierte Versorgung als Standard in Haus- und Facharztpraxen. „Endlich gelingt es uns, einen der großen Massenprozesse in der Gesundheitsversorgung digital aufzurüsten. Bei drei Millionen Arzt-Patienten-Kontakten pro Tag, viele mit Rezept, werden sich neue Abläufe nun nicht mehr nur in Modellprojekten oder Selektivverträgen, sondern umfassend als Standard etablieren.“

Damit bekomme auch der Medikationsplan zusätzlichen Wert. In der Verbindung mit der elektronischen Patientenakte (ePA) werde es möglich, unnötige Polypharmazie und daraus resultierende Krankenhausaufenthalte besser in den Griff zu bekommen. Ein Medikations-Konsil könne zum Regelbestandteil integrierter Versorgung werden. Für die Apotheke vor Ort erwartete auch Hager massive Veränderungen, aus denen sich auch Chancen ergeben könnten. „Wir haben 18.000 niedergelassene Apotheken mit hervorragend qualifiziertem Personal“, erklärte er. Diese könnten verstärkt in weitere Aufgaben der Gesundheitsversorgung eingebunden werden, beispielsweise bei Impfaktionen oder bei Themen der regionalen Versorgung.

Jacqueline Schmid, SHI Market Managerin beim Onlineportal Zava, sieht den Gesetzgeber in der Pflicht, um die Digitalisierung voranzubringen. Die einzelnen Player der Versorgung müssten mit festen Rollen eingebunden werden, forderte sie. Zudem müsse die Kommunikation zum Thema Digitalisierung verbessert werden. „Ohne Akzeptanz keine Motivation“, erklärte Schmid. Dies sei wichtig, um das gesamte System zu verankern.

Panel 2 – Das stationäre E-Rezept

Moderation:

  • Frank Böhme (scanacs)

Impulsvortrag:

  • Admir Kulin (mDoc)

Referent:innen:

  • Ralf König (hih)
  • Christina Bogdanov (Helios Kliniken)
  • Philip Hahn (Universitätsklinikum Regensburg)
  • Viola Lange (Universitätsklinikum Schleswig-Holstein)

Große Bereitschaft und noch ein Stück Weg in der Umsetzung

Admir Kulin befasst sich als Geschäftsführer der Onlineplattform m.Doc mit dem Aufbau innovativer digitaler Gesundheitslösungen und dabei aktuell mit der Digitalisierung des Klinikalltags, einer ganzheitlichen Patientenkommunikation sowie der Entlastung und Unterstützung des medizinischen Personals. In seinem Impulsvortrag ging er darauf ein, dass Menschen heute bereits eine digitale Erwartungshaltung in vielen Bereichen des Lebens entwickelt haben, mit dem Trend zu vollständiger Vernetzung und einem Verhalten, das Kulin mit „24/ 7“ umschrieb. Erwartet werde inzwischen auch bei Serviceleistungen ständige Verfügbarkeit. Lediglich im Gesundheitssektor sei hier noch Entwicklungsbedarf, betonte er.

Auch Kulin bestätigte die These des vorausgegangenen Panels, das E-Rezept habe in diesem Zusammenhang die Rolle des Game Changers aus Sicht der Patienten. Er warnte jedoch vor einer isolierten Betrachtung, forderte stattdessen eine gesamtheitliche Herangehensweise an die Prozesse. „Mit dem E-Rezept“, erklärte er, „wird eine große Transformationskette angestoßen.“ Als Beispiele zum Gesamtbild der stationären Behandlung nannte er die Projekte im Rahmen des Krankenhauszukunftsgesetzes (KHZG) wie Patientenportale, digitale Pflege- und Behandlungsdokumentation sowie das digitale Medikationsmanagement.

Darüber hinaus müsse auch die gematik mit ISIK und anderen Projekten sowie E-Messenger und KIM einbezogen werden, ebenso wie nicht zuletzt das BMG mit seinem Aktionsplan. Das E-Rezept müsse in die Fülle der Patientenportale integriert werden, und es müsse sichergestellt sein, dass die Nutzer in den Kliniken auch tatsächlich damit umgehen könnten. Ausgelöst durch das E-Rezept, so das Fazit von Admir Kulin, käme auf alle Beteiligten „eine riesige Fülle an Veränderungen“ zu. „Es ist nicht nur ein Stückchen Software, das man einführt, sondern es handelt sich um eine große prozessuale Thematik.“

Frank Böhme berichtete von seinen Erfahrungen aus Gesprächen mit Kliniken: Dort werde immer von einer Dreiteilung gesprochen – Ausstellen und Abrufen des Rezepts, Rechnungsstellung sowie Abrechnung. „Viele Kliniken sehen jetzt mit der Einführung des E-Rezepts die Chance, die gesamten Prozesse der Generalrevision zu unterziehen“, berichtete Böhme. Die entscheidende Frage sei allerdings, wie gut die Kliniken darauf vorbereitet seien.

Die Panelisten Jan Fahrenkrog-Petersen, Pharmakologe in der Ambulanzversorgung der Berliner Charité, Christina Bogdanov vom Helios Klinikum Meiningen und Berlin-Buch sowie Viola Lange vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein bestätigen übereinstimmend die Bemühungen ihrer Häuser, sich auf die digitalen Prozesse vorzubereiten. Die Bereitschaft und Erwartungen seien groß, doch gebe es noch erhebliche Hürden bei der Umsetzung. Sie bemängelten das Fehlen wichtiger Informationen und Entscheidungen wie beispielsweise der Spezifikationen der gematik. Diese seien aber für die IT-Dienstleister notwendig, um die Integration des E-Rezepts in die Prozesse zu ermöglichen.
Zwar seien laut Fahrenkrog-Petersen viele Informationen der gematik erfolgt, solange aber die finale Fassung fehle und immer wieder Veränderungen möglich seien, könne die notwendige Software nicht erstellt werden. Aus den Diskussionsbeiträgen wurde deutlich, dass die Pilotierung digitaler Prozesse in allen Häusern folgen wird, bevor eine Umsetzung in der Breite kommt. Auch wurde betont, dass die barrierefreie Kommunikation zwischen den Berufsgruppen essenziell und eine große Herausforderung sei. Die Player des IT-Bereichs und der gematik seien hier ebenso gefordert wie die Apothekerschaft.

Phillip Hahn aus der Stabsabteilung Unternehmensentwicklung und Innovation der Universitätsklinik Regensburg, berichtete, eine Projektgruppe unter maßgeblicher Beteiligung der IT und anderer Beteiligter sei frühzeitig ins Leben gerufen worden, um sich mit dem interdisziplinären Projekt E-Rezept auseinanderzusetzen. Vielfältige Fragen auf Prozessebene seien zu klären, wie beispielsweise die Berechtigung für die elektronische Signatur, die Platzierung der Kartenterminals oder die Anforderungen aus dem Entlassmanagement der Ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung (ASV).

Christina Bogdanov ging davon aus, dass nach erfolgreichem Abschluss der Tests in den ausgewählten Pilothäusern Standards etabliert würden, die dann im ersten Quartal 2022 auch in weiteren Häusern ausgerollt werden könnten.
Viola Lange ergänzte in diesem Zusammenhang den Status der Abrechnungsprozesse, der nachgeordnet und bisher nicht getestet sei. Im ersten Schritt liege der Fokus auf der Ausstellung von Entlassrezepten in Ambulanzen und Stationen. Danach folge die Abrechnung. In 5 Konnekthatons könnte der Austausch zu diesem Prozess von der Ausstellung bis zur Abrechnung sinnvoll durchgespielt werden.

Entscheidend, so Philipp Hahn, sei in diesem Zusammenhang, die relevanten Player einzubinden. Die Abläufe sollten möglichst vor Ort getestet werden, ergänzt Jan Fahrenkrog-Petersen. Die Vernetzung vieler Sichtweisen vor Ort sei entscheidend, das habe die Praxis immer wieder gezeigt. „Die Realprozesse eines Krankenhauses haben häufig ihre Berechtigung aus der langjährigen Nutzung“, so Hahn. „Dennoch lohnt es sich, die Prozesse auf den Prüfstand zu stellen und auch die formalen Anforderungen ständig zu überprüfen. Da gibt es immer wieder Aha-Effekte.“
Alle Vertreterinnen und Vertreter der Kliniken, die Zytostatika verwenden, bemängelten die fehlende fristgerechte Integration der Dienstleister sowie die fehlende Einbindung von Krankenhausapotheken in die Testläufe. Frank Böhme berichtete, es gebe Zusagen von Softwarehäusern, E-Rezepte für Fertigarzneimittel auszustellen, nicht aber für Rezepturen. Dabei müsse es aus Sicht des Arztes sinnvollerweise eine einzige Benutzeroberfläche haben, erläuterte Böhme, „egal welches E-Rezept er ausstellt“. Diese Prozesse ebenso benutzerfreundlich wie betriebssicher zu gestalten, sei noch eine unumgängliche Herausforderung für die Softwarehersteller.

„Krankenhäuser sind nicht einfach große Arztpraxen“, erklärte Philipp Hahn, „sie haben völlig andere Abläufe“. Insofern begrüße er es, dass die gematik derzeit am Workflow arbeite, auch wenn noch viel Unsicherheit über die künftigen Regularien herrsche. Die Umsetzung der neuen Anforderungen durch das E-Rezept bleibe noch eine Herausforderung. Sorge bei einem mangelhaften Prozess bereiten weniger die Krankenkassen als die Sicherheit des kompletten Systems. Schließlich besteht der Mehrwert nicht nur im E-Rezept, sondern auch in der Veränderung der gesamten Prozesskette, die Notfall-Datenmanagement oder elektronische Medikationsplaner mit einschließt – und dies bei laufendem Betrieb in einem derzeit ohnehin schon vielfach überlasteten System.

Panel 3 – Das sichere E-Rezept

Moderation:

  • Ralf König (hih)

Impulsvortrag:

  • Martin Tschirsich (Chaos Computer Club)

Referent:innen:

  • Aigerim Rachimow (ETL advision)
  • Dr. Christian Ullrich (SBK)
  • Marcel Weigand (UPD)
  • Andreas Bethke (B³)
  • Dagma Hircher (Vorständin des Vereins Wege aus der Einsamkeit e.V.)

Sicherheitsziele über den gesamten Prozess gewährleisten

Die Diskussion über die Datensicherheit zeigte schnell, dass dies ein ebenso komplexes wie entscheidendes Thema für die Akzeptanz des E-Rezepts und der damit verbundenen digitalen Prozesse ist. Einigkeit bestand bei allen Diskutanten darin, dass die Datensicherheit nicht der Verfügbarkeit für die breite Schicht von Patienten und Leistungserbringern im Wege stehen dürfe. „Der Zugang muss niedrigschwellig und zugleich benutzerfreundlich sein“, mahnte Christian Ulrich von der Siemens Betriebskrankenkasse. „Diese Kombination wird dazu führen, dass der digitale Prozess, das digitale Rezept und auch alle anderen TI-Anwendungen wirklich zum Fliegen kommen.“

In seinem Impulsvortrag wies der Datenschutzexperte Martin Tschirsich, der auch Mitglied des Chaos Computer Clubs ist, darauf hin, dass der Begriff Datensicherheit im Zusammenhang mit dem E-Rezept verschiedenste Aspekte umfasst. Neben der Patientensicherheit gehörten die Arzneimitteltherapiesicherheit ebenso dazu wie die Versorgungssicherheit. „Das Ganze funktioniert nur, wenn Sicherheitsziele wie Verfügbarkeit, Integrität der Prozesse und Daten über den gesamten Verlauf sichergestellt sind“, so Tschirsich. Exemplarisch führte er aus, welche Komponenten dafür nötig sind: „Der Versicherte kann auf das E-Rezept per App und über den Papierausdruck zugreifen. Dies erfolgt derzeit per App über die Gesundheitskarte und eine PIN. In der Apotheke sind weitere verschiedenste Komponenten nötig, damit dieser Prozess sicher und vollständig ablaufen kann, etwa der Apothekenausweis. Noch eine Zugangskarte für diese Telematik-Infrastruktur, noch ein IT-System vor Ort“, erklärte der Datenschutzexperte, „und dieser Prozess geht noch weiter, bis hin zu den Abrechnungszentren und zu den Kassen.“ Der gesamte Prozess habe zudem eine Abhängigkeit von einem zentralen E-Rezept-Fachdienst, bei dem die Rezepte für bis zu 100 Tage gespeichert werden und auf den alle zugreifen, die mit dem E-Rezept interagieren.

Viele der Komponenten, das hätten Untersuchungen des Chaos Computer Clubs gezeigt, seien „angreifbar“ und stellten „keine sichere Verteidigungslinie dar“, bemängelte Tschirsich. So sei es beispielsweise gelungen, Signaturkarten von Ärzten in Besitz zu nehmen und zu Demonstrationszwecken E-Rezepte auszustellen. Ähnliche Probleme bestünden bei den elektronischen Gesundheitskarten für Versicherte. „Wenn ein Zugang erschlichen werden kann, haben wir das Problem des Vertrauensverlustes in die Gesundheitssysteme“, sagte Tschirsich. Nachbesserungen seien nötig, allerdings nicht zulasten der einfachen Bedienbarkeit.

Andreas Bethke, langjähriger externer Datenschutzbeauftragter, setzte den Schwerpunkt auf die Datensicherheit und wies auf die rechtlichen Voraussetzungen hin, die unbedingt beachtet werden müssten. Neben Artikel 32 der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) in dem die technischen und organisatorischen Maßnahmen bei der Verarbeitung von Daten geregelt sind, sei noch § 22 des deutschen Bundesdatenschutzgesetzes relevant. Er besagt, was unternommen werden muss, wenn Gesundheitsdaten verarbeitet werden. „Verschlüsselung wäre eine Maßnahme“, forderte Bethke, „sofern wir die nicht haben und nicht sicher sind, dass nicht von einer fremden Stelle Daten gelesen werden könnten, die sich irgendwo im Prozess einschaltet, fehlt ein wesentliches Sicherheitselement.“
Damit spielte Bethke darauf an, dass auf einer Gesellschafterversammlung der gematik festgelegt wurde, dass das E-Rezept keine sogenannte Ende-zu-Ende-Verschlüsselung erhält. Ein solches Verfahren ist zum Beispiel aus der WhatsApp-Kommunikation bekannt. Es soll sicherstellen, dass nur Absender und Adressat Einblick in die unverschlüsselten Inhalte erhalten. „Ich sehe das kritisch“, erklärte Andreas Bethke, „denn wir haben ja letztendlich die Verpflichtung des Datenschutzes.“

„Gerade in Deutschland diskutieren wir sehr häufig nur über den Datenschutz“, gab wiederum Marcel Weigand, Leiter Kooperationen und digitale Transformation bei der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland (UPD), zu bedenken. Dabei sei es mindestens genauso wichtig, „eine Anwendung von der Bedienbarkeit so zu konstruieren, dass sie möglichst wenig Fehler zulässt und ohne umfangreiche Schulung zu nutzen ist.“

Das unterstützte Dagmar Hirche, Unternehmensberaterin und Gründerin des Vereins „Wege aus der Einsamkeit“ mit großem Engagement. Sie sprach für die ältere Generation und kritisierte, in der gesamten Diskussion käme der Patient viel zu kurz. Die Fachleuchte lebten „leider immer in einer Blase“, so Hirche, und sprächen an der Zielgruppe oft vorbei. „Ärzte, Krankenhäuser, Apotheken können geschult werden. Wo bleiben die Patienten mit der Schulung?“ Aber auch, wenn sie sich die Digitalausstattung mancher Arztpraxen anschaue, frage sie sich, wie die neuen Prozesse umgesetzt werden sollen. „Wenn wir in den ländlichen Bereich gehen, gibt es dort überhaupt keine vernünftige Internetverbindung, auch wenn die Apotheken und Ärzte gerne digital aktiv sein wollen“, so Dagmar Hirche.
Viele Hindernisse seien auf dem Weg zur breiten Einführung der digitalen Prozesse noch zu überwinden, meinte auch Christian Ulrich von der Siemens Betriebskrankenkasse, die nach seinen Worten die „Eingangstür zum System“ für die Versicherten bereitstelle. „Wir verschicken die elektronische Gesundheitskarte und die PIN“, erläuterte er, „wenn das nicht kunden- und nutzerfreundlich ist, drehen die meisten um. Dann läuft der ganze digitale Prozess überhaupt nicht.“ Deshalb sei es äußerst relevant, vor allem die Zugänglichkeit dieser Systeme zu gewährleisten und aus Sicht der jeweiligen Nutzer im Gesundheitswesen zu betrachten. Das beginne bei der Terminsuche beim Arzt, führe vom Arztbesuch über das E-Rezept bis zum

Medikament, das die Versicherten auf Basis der Verordnung in der Apotheke erhielten. Das sei „als integraler Bestandteil zu denken und nicht in den einzelnen Sparten“, meinte Ulrich und führte ein Beispiel an: Das E-Rezept sei zwar in der Benutzer-App sicher, aber wenn man es in die elektronische Patientenakte (ePA) weitergeben wolle, sei diese überhaupt noch nicht integriert. „Dann muss ich das lokal auf meinem Endgerät speichern und dann in die ePA übertragen“, erklärte Ulrich. „Das ist dann Integration anno 2021 in Deutschland. Da sprechen wir von einer ganz anderen Sicherheitslücke.“

„Die Nutzung kommt mit dem Nutzen“, stellte Marcel Weigand von der UPD abschließend fest. „Sobald das Zusammenspiel zwischen elektronischem Medikationsplan, ePA und E-Rezept wirklich klappt, wird zunehmend auch dieser Nutzen klar.“ Andere Länder seien beim Funktionsumfang deutlich weiter als Deutschland. Dort bekomme man bereits alles auf annähernd einer Plattform. „Da sind wir noch weit davon entfernt“, konstatierte Weigand. Sein Appell: „Wir bemängeln seit Jahren die fehlende integrierte Versorgung, wir sollten möglichst keine fraktionierte Digitalisierung anbieten.“

Panel 4 – Das transformierende E-Rezept

Moderation:

  • Ilka Dekan (INNO3 GmbH)

Impulsvortrag:

  • Jörg Weise (scanacs)

Referent:innen:

  • Christopher Thielen (APOSTORE und KHT GmbH)
  • Istok Kespret (HMM Deutschland)
  • Michael Hübner (Barmer)
  • Sven Pannicke (spectrumK)

Vom digitalen E-Rezept zur vernetzten Versorgung

Was wird sich durch das E-Rezept ändern, außer dem Ersatz von Papier, welche Chancen ergeben sich durch die Vernetzung und wie sind die Aussichten für die kommenden zehn Jahre? Das waren einige der wichtigsten Fragen, mit denen sich die letzte Diskussionsrunde des zweiten virtuellen E-REZEPT-SUMMITs beschäftigten. „Unsere Aufgabe ist es, unserem Umfeld sichtbar und greifbar zu machen, welche Chancen das E-Rezept birgt“, sagte Sven Pannicke vom Krankenkassendienstleister spektrumK. So sei es beispielsweise zum ersten Mal möglich, „eine ungeheure Menge an Daten entsprechend zu verarbeiten, damit können wir endlich Transparenz in das System bringen“.

Seinen Impulsvortrag nutzte Jörg Weise, Head of Consulting bei scanacs, für einen optimistischen Ausblick und einen engagierten Appell an die Zuhörerinnen und Zuhörer. Das E-Rezept sei ein extrem wichtiges Produkt, für die nächsten Jahre bilde es eine gute Grundlage für weitere Entwicklungen. „Die Rakete ist gezündet“, so Weise, „jetzt müssen wir dafür sorgen, dass aus dieser reinen Digitalisierung auch eine vernetzte Versorgung wird.“ Weises Aufruf: „Wichtig ist, keine fünf Jahre zu warten, wie es die Gesetzgebung vorsieht, sondern jetzt andere Themen nachzuschieben, beispielsweise die Abrechnung von DiGA. Es gehe jetzt auch darum, die Vorteile des E-Rezepts herauszuarbeiten, wie die Direktabrechnung, die bei scanacs bereits umgesetzt ist, oder die Retaxprüfung in Echtzeit, die ebenfalls technisch möglich sei. Weiter könnten die Krankenkassen ihre Ausgabensteuerung verbessern, und der Aktionsplan des BMG zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit in Deutschland (AMTS) könne wirksam unterstützt werden, erklärte Weise. „Versorgungssteuerung und Zeitersparnis, wo immer es geht“, forderte er, „Wir müssen bei dem Thema vorangehen, auch im Zuge der GKV-Finanzierung. Dort werden Milliarden versenkt in Prozesse, die eigentlich längst digitalisiert sein könnten.“ Die Kostenträger rief er auf, eine führende Rolle einzunehmen, um bei den Patienten für Akzeptanz beim Thema E-Rezept zu sorgen. „Sie haben eine Aufklärungspflicht“, so Weise, „es muss in ihrem Interesse liegen, die Patienten gut einzubinden.“

Michael Hübner, Leiter Ambulante Versorgung, Pflege und Innovation bei der Barmer, nahm den Ball auf. „Wir fördern die digitale Gesundheitskompetenz. Das ist sogar ein neuer gesetzlicher Auftrag, den wir als Krankenkassen haben“, erklärte er. Man könne im Leben aber zu früh oder zu spät mit der Aufklärung sein. Eine breite Kampagne zum E-Rezept im zurückliegenden Jahr

wäre verpufft. Jetzt sei der richtige Zeitpunkt. „Wir entwickeln momentan für verschiedene Zielgruppen entsprechende Formate, sodass wir das Thema Digitalisierung in der Bevölkerung verankern“, erklärte Hübner, „das beginnt bei Schülern, auch bei Studierenden und geht bis in den Bereich der Rentner.“ Die fast neun Millionen Versicherten der Barmer seien am Ende die Nutzer des E-Rezepts.

E-Health-Experte Istok Kespret, Geschäftsführer der HMM Deutschland GmbH, rechnete mit „gewaltigen Vorteilen“ durch die Digitalisierung. Er erwarte, sagte Kespret, dass das E-Rezept eine Technologie sei, welche die bestehenden Prozesse bis zur Abrechnung unterstütze. Dabei gehe es nicht nur um massive Zeitersparnis, bis hin zur Verarbeitung in Echtzeit: „Der Patient kann endlich involviert sein“, so Kespret, „von Anfang bis Ende mitsteuern, mitinformiert sein und digital in diese Prozesse integriert werden.“ Dabei müsse die Technologie „diskriminierungsfrei und abwärtskompatibel“, damit gerade auch ältere Patienten an diesen Prozessen teilhaben könnten.

Dienstleistungen würden sich verändern, prophezeite Kespret. Manche in der Branche fühlten sich vielleicht bedroht und könnten sich der Entwicklung entgegenstellen. „Wir müssen sie mitnehmen, und den großen Nutzen den Versicherten geben“, forderte er, „das Einsparungspotenzial bei den Krankenkassen ist enorm.“ Möglich sei beispielsweise eine neue Flexibilität in der Gestaltung von Verträgen, auch in einzelnen Versorgungsprozessen.
Als Versicherter könne man erwarten, dass eine Verordnung beim Arzt per E-Rezept im Bruchteil einer Sekunde auf dem eigenen Smartphone erscheint, erklärte Sven Pannicke. Dadurch werde sich langfristig auch das Verhältnis der Versicherten zu den Leistungserbringern ändern. „Diese Information können sofort weiterverarbeitet werden“, so Pannicke, „und den Patienten vielleicht ganz andere Möglichkeiten der Entscheidung anbieten als gegenwärtig.“ Das seien echte therapeutische Mehrwerte durch die Echtzeit-Verarbeitung.

Ähnliche Möglichkeiten sieht auch Christopher Thielen, Geschäftsführer Knapp Smart Solutions GmbH, für die Apotheken. Es gehe darum, das E-Rezept als Chance zur Qualitätsverbesserung zu nutzen, um die Beziehung zwischen den Patienten und Apothekenteam zu intensivieren. Schließlich könne die digitale Verordnung schneller in der Apotheke sein als die Patienten, die zur Abholung der Medikamente kommen. „Die Apotheken und Ärzte kennen das Gros ihrer Kunden und können da positiv und proaktiv einwirken“, meinte Thielen.

Umgekehrt könnten auch Krankenkassen die Chance nutzen, bereits proaktiv in die Versorgung einzugreifen. Durch eine digitalisierte Medikationshistorie könnte mit intelligenten oder lernenden Systemen vorhergesagt werden, ob bei einem Versicherten ein Problem auftritt oder perspektivisch auftreten kann. „Der Versicherer, der Kostenträger könnte an dieser Stelle gegebenenfalls steuernd eingreifen“, so Pannickes Vision.

„Wir werden mit Sicherheit keinen Versicherten anrufen und ihn mit seiner Medikation konfrontieren“, dämpfte Michael Hübner von der Barmer, etwaige Ängste vor einer möglichen Überwachung. „Das könnte für die Compliance zwischen Arzt und Patient und vielleicht auch für die Compliance zwischen Arzt und Barmer nicht unbedingt förderlich sein.“ Dennoch biete die Barmer im Bereich der Arzneimitteltherapiesicherheit verschiedene Prüfungen an. Auch der Medikationsplaner werde jetzt Gegenstand der elektronischen Patientenakte. „Insofern ist für uns das E-Rezept jetzt so wichtig, dass wir darüber auch einen Push in Richtung der ePA schaffen“, so Hübner.

Für die Barmer kündigte er einen Weg in die volle Digitalisierung an: „In Zukunft wollen wir nicht länger Papier bewegen.“ Eines der Ziele sei dabei, „unterm Strich tatsächlich Verwaltungskosten“ zu sparen, erklärte Hübner. „Und auch das Retaxgeschäft wird sich mit dem E-Rezept, das für uns ein Katalysator sein wird, in zwei, drei Jahren in Luft auflösen.“

Bei der Direktabrechnung kooperiere die Barmer mit scanacs, um einen disruptiven Ansatz zu verfolgen. Aber hier sieht Hübner das „Henne-Ei Problem“, weil sich jeder zunächst frage, wo der eigene Vorteil in diesem System liege. Bei der Barmer habe man sich für Investitionen in Cloud Services entschieden, damit Echtzeitprüfungen überhaupt möglich seien. „Wir investieren in diesem Bereich, weil wir große Chancen sehen.“

Auch Jörg Weise und Istok Kespret riefen die Branche auf, bei der Digitalisierung voranzugehen. Die Grundlagen dazu müssten vom Gesetzgeber geschaffen werden, weil einheitliche Standards für die reibunsglosen Abläufe notwendig seien. Der Staat solle Leitlinien ausgeben, sich aber nicht selbst als Player betätigen und den Markt klugen Inititativen überlassen, forderte Kespret. Die Akteure in der Gemeinschaft – Krankenkassen, andere Leistungserbringer, Apotheker- und die Ärzteschaft seien stark genug. „Ich kann die Branche nur ermutigen, so wie es scanacs und andere Dienstleister gemacht haben, nach vorne zu gehen und neue Wege zu beschreiten.“

Ein Appell, den Frank Böhme in seinem Schlusswort aufgriff: „Ich hoffe, dass im Sommer 2022 ein Großteil der ausgestellten Verordnungen schon elektronisch läuft“, sagte er. Zwar gebe es noch viele Fragen und Probleme, die zu lösen seien. Aber der Markt sei „auf dem Sprung“. Die meisten Beteiligten hätten sich rechtzeitig vorbereitet. „Daher denke ich, wir haben eine große Chance, dass wir Mitte des Jahres schon eine signifikante Anzahl an elektronischen Verordnungen sehen werden.“

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