Wie steht es eigentlich um den Grad der Digitalisierung im Land der tausend Möglichkeiten? Gehören hier E-Rezept und Co. bereits zum Alltag?
Im Rahmen ihrer Amerika-Reise hat sich Lisa Lehmann, Marketing Managerin bei scanacs, einmal umgehört und bei Healtcare-Expertin Claire Schupbach nachgefragt. Sie ist Account Director, National Accounts, BCBS Markets bei MultiPlan. MultiPlan ist Partner von über 700 Kostenträgern im amerikanischen Gesundheitswesen und hat es sich zu Aufgabe gemacht, diese zu unterstützen, die Kosten der Versorgung zu managen, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern und positive Veränderungen anzuregen. Das Unternehmen nutzt hochentwickelte Technologien, Datenanalysen und ein Team mit umfassender Branchenerfahrung, um die Bedürfnisse seiner Kunden zu erkennen und innovative Lösungen zu entwickeln.
Amerika vs. Deutschland: Das Gesundheitssystem
Das deutsche und das US-amerikanische Gesundheitssystem unterscheiden sich in mehreren wichtigen Aspekten wie Finanzierung, Abdeckung und Zugang zur Versorgung:
Finanzierung
Das deutsche Gesundheitssystem wird durch die Solidargemeinschaft finanziert, während die Gesundheit der US-amerikanischen Bevölkerung meistens Privatangelegenheit ist und überwiegend von Versicherungsprämien und Selbstbeteiligungen abhängt. In Deutschland besteht für alle Bürgerinnen und Bürger mit Wohnsitz in Deutschland die Verpflichtung zum Abschluss einer Krankenversicherung. In den USA gibt es hingegen keine bundesweite Verpflichtung zur Krankenversicherung.
Abdeckung
In Deutschland deckt die gesetzliche Krankenversicherung eine umfassende Reihe von medizinischen Dienstleistungen ab, einschließlich Vorbeugung, Krankenhausbehandlung und Langzeitpflege. Das US-System ist fragmentierter und für viele US-Bürger:innen leider Luxus. Denn häufig sind die Kosten selbst zu tragen oder Zuzahlung zu leisten; staatliche Unterstützung gibt es nur in medizinischen Notfällen.
Zugang zur Versorgung
In Deutschland gilt die freie Arztwahl. Bürger:innen ist es möglich, den Arzt zu wechseln. Das gilt auch für das Krankenhaus, in dem Patient:innen behandelt werden möchten. In den USA ist der Zugang zur Versorgung mit hohen Kosten verbunden. Können diese nicht durch Krankenversicherung oder staatliche Unterstützung abgedeckt werden, ist die Inanspruchnahme notwendiger medizinischer Behandlungen für viele Menschen leider ein finanzielles Hindernis.
Qualität der Versorgung
In beiden Ländern gilt: Qualität hat ihren Preis. Sowohl in Deutschland als auch in den USA gibt es hochqualifizierte medizinische Arbeitskräfte und fortschrittliche medizinische Technologie. Das deutsche System sorgt mit standardisierten Richtlinien für kontrollierte Qualität und Sicherheit. In den USA wird ebenfalls eine Versorgung auf hohem Niveau geboten, die allerdings häufig privat finanziert werden muss.
Abrechnung
In Deutschland erstattet die GKV die Kosten direkt gegenüber den Leistungserbringenden. Privat Krankenversicherte müssen Rechnungen selbst bezahlen, die Kosten werden jedoch anschließend auf Basis des genutzten Tarifes durch die PKV erstattet. In Amerika zahlen Patient:innen ihre Rechnungen in der Regel selbst. Die Kosten werden rückwirkend von der Versicherung erstattet, falls diese vorhanden ist. Medizinische Leistungen erfordern allerdings häufig Zuzahlungen und oftmals wird ein Selbstbehalt (copay) beim Arztbesuch fällig. [2]
Interview mit Healthcare-Expertin Claire Schupbach
Bereits seit 2007 sind in den USA alle Staaten in der Lage, E-Rezepte zu verarbeiten. Damit zählen die Vereinigten Staaten zu den Vorreitern in Sachen Digitalisierung im Gesundheitswesen. Healthcare-Expertin Claire Schupbach ist bereits seit vielen Jahren im amerikanischen Gesundheitswesen tätig und arbeitete unter anderem als Account Managerin für Versik Health, Zelis Healthcare sowie als Strategic Account Managerin bei SCIO Health Analytics. In einem Interview gab Sie uns Hintergrundinformationen und äußerte sich mit spannenden Fakten zu unseren Fragen.
scanacs: Wie ist der Stand der Digitalisierung im Gesundheitswesen in Amerika?
Claire Schupbach:
Schon 2016 nutzten 96 Prozent aller unserer Krankenhäuser und acht von zehn Ärzten Electronic Healthcare Records (EHRs). EHRs sind IT-Systeme, welche Zugriff auf alle elektronisch gespeicherten Krankenakten oder besser Gesundheitsdaten von Patienten ermöglichen. Covid hat die Nutzerzahl der ERHs noch weiter erhöht. Der Digitalisierungsgrad ist hier also hoch. Die Herausforderung besteht darin, dass die Systeme/Plattformen unterschiedlich sind und nicht ohne weiteres miteinander kommunizieren. Das ist eine Menge Arbeit und ein Teil meines Aufgabenbereiches.
scanacs: Seit wann gibt es in den USA das elektronische Rezept?
Claire Schupbach:
Die US-Bundesregierung begann 1999 mit Untersuchungen, wie man den Gesundheitsmarkt dazu bringen kann, elektronische Verschreibungen einzuführen. In dem Bericht „To Err is Human: Building a Safer Health System “[1] wurden Medikationsfehler dokumentiert, von denen die Hälfte als vermeidbar galt und zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen führte. Ziel war es, durch den Einsatz von Technologie wie z. B. dem elektronischen Rezept zur Verringerung von Medikationsfehlern und zur Verbesserung der Patientensicherheit beizutragen.
Den Anstoß dazu gab die Bundesregierung mit dem HITECH-Gesetz von 2009, das Zuschüsse und Anreize zur Förderung der sinnvollen Nutzung von Verschreibungssystemen durch Organisationen vorsah. Vor dieser Zeit waren die Verschreibungssysteme alle eigenständig und konnten nicht miteinander kommunizieren. Es gab Zuschüsse sowie Anreize von der Regierung, aber auch Sanktionen als sich die Initiative im Laufe der Zeit entwickelte.
[1] Institute of Medicine (US) Committee on Quality of Health Care in America. To Err is Human: Building a Safer Health System. Kohn LT, Corrigan JM, Donaldson MS, editors. Washington (DC): National Academies Press (US); 2000. PMID: 25077248.
scanacs: Gab es Probleme bei der Einführung des E-Rezepts? Und wenn ja, wie wurden diese überwunden?
Claire Schupbach:
Hindernisse der Einführung waren fehlende finanzielle Mittel, sich schnell ändernde Standards, mangelnde IT-Unterstützung und fehlendes Personal für die Verwaltung der Systeme, insbesondere in ländlichen Gebieten.
Um die Hindernisse bei der Umstellung zu überwinden, musste die Bundesregierung Zuschüsse gewähren und finanzielle Anreize schaffen, um die Kosten, die Ausbildung und die Infrastruktur zu unterstützen. Es hat ein paar Jahrzehnte gedauert, bis wir so weit waren.
Dass das elektronische Rezept bereits vollständig in den Alltag integriert ist, zeigt uns die Statistik. Im Jahr 2021 wurden 94 Prozent aller Rezepte elektronisch verordnet.
[3] Statistik: Share of US e-prescriptions
scanacs: Ist die Verwendung des elektronischen Rezepts obligatorisch oder werden Medikamente immer noch auf Papier verschrieben?
Claire Schupbach:
Man kann immer noch ein Rezept in Papierform ausstellen und es wird auch weiterhin verwendet. Es hängt von der Art der Praxis und der Situation ab. In einem Krankenhaussystem werden so gut wie alle Rezepte elektronisch ausgestellt. In kleinen Praxen können Sie von Ihrem Arzt ein Rezept in Papierform erhalten oder Sie können es virtuell in Ihrer Apotheke abrufen und elektronisch übermitteln, die es dann einfach an Sie weiterleitet.
Covid hat die Nutzung virtueller und elektronischer Technologien weiter vorangetrieben, so dass bei den virtuellen Arztbesuchen natürlich auch E-Rezepte verwendet werden, um den Patienten Medikamente zukommen zu lassen.
Ich würde sagen, dass bei fast allen Kostenträgern in den USA alle Verschreibungen elektronisch eingereicht und verfolgt werden, auch wenn die Patienten sie immer noch in Papierform erhalten können.
scanacs: Was sind Ihrer Meinung nach die Vorteile des elektronischen Rezepts für alle Beteiligten (Ärzt:innen, Apotheken, Patient:innen)?
Claire Schupbach:
Einer der Vorteile für Apotheker:innen besteht darin, dass E-Rezepte in digitaler Form besser zu lesen sind und die Schrift des/der Arztes/Ärztin nicht erst identifiziert werden muss. Das spart enorm viel Zeit und Rücksprache zwischen den beiden Parteien. Außerdem kann so auch die Ausgabe falscher Medikamente vermieden werden, was natürlich ein maßgeblicher Vorteil für Patient:innen ist.
Als Verbraucher finde ich es in der Regel bequemer, ein elektronisches Rezept zu verwenden, als von meinem Arzt ein Papierrezept zu erhalten, denn es besteht keine Gefahr, dieses zu verlegen und ich spare mir dadurch Wege.