Kennen Sie schon die Technische Kommission gemäß § 300 SGB V? Sie ist eine von vielen Institutionen im deutschen Gesundheitswesen mit bedeutendem Einfluss, aber nur den wenigsten ein Begriff. Die Technische Kommission spielt eine zentrale Rolle in den Abrechnungsprozessen zwischen Apotheken und der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Vertreterinnen und Vertreter von Apothekerverbänden, Krankenkassen und weitere Branchenexpert:innen stimmen hier wesentliche technische Standards und Vorgaben für die Abrechnung ab, um eine reibungslose und transparente Verarbeitung zu gewährleisten.
Heute gibt Frank Böhme, Geschäftsführer von scanacs, in einem persönlichen Kommentar Einblicke in aktuelle Herausforderungen und die schleppende Digitalisierung im Gesundheitswesen. Die Einführung der verpflichtenden E-Rechnung 2025, festgelegt im Wachstumschancengesetz, bringt neue Chancen für schnellere, papierlose Prozesse – Entscheidungen der Technischen Kommission spielen bei der Umsetzung eine entscheidende Rolle. Frank Böhme fordert eine modernere Ausrichtung und fragt: Sind wir ehrlich zu uns selbst?
Kommentar von Frank Böhme (Geschäftsführer, scanacs direct GmbH):
Auf der Sitzung der Technischen Kommission vom 14.10.2024 stand unter Top 2.10 der Tagesordnung auch der Punkt „E-Rechnungen“. Schließlich besteht laut Wachstumschancengesetz (verkündet am 27.03.2024 im Bundesgesetzblatt) ab dem 1.1.2025 eine Annahmeverpflichtung für jedes Unternehmen in Deutschland – vom Großkonzern bis zur kleinen Apotheke. Im Raum stand die Frage, ob dies auch den Prozess betrifft, über den jährlich für mehr als 50 Mrd. Euro Arzneimitteln abgerechnet werden.
Vorausgegangen war am 16.9.2024 eine Sitzung des Gremiums, in der Apothekenrechenzentren den Wunsch geäußert hatten, bis auf weiteres keine E-Rechnungen an die GKVen versenden zu müssen. Ziemlich genau zehn Wochen vor der verpflichtenden Einführung der E-Rechnung rückt der Punkt also wieder auf die Tagungsordnung. Höchste Zeit, beschäftigt sich doch die gesamte Wirtschaft längst damit.
Konkret wurde diskutiert, ob Krankenkassen ab 1.1.2025 Rechnungen für Arzneimittel gemäß der EU-Norm EN 16931 annehmen müssen. Aktuell gibt es dafür zwei Formate, XRechnung und ZUGPFeRD. Sorge auf Seiten der Apothekenrechenzentren war wohl, es nicht rechtzeitig zu schaffen. Schließlich ist ja schon viel los, an der Programmierer-Front.
Insofern kann ich mir die Erleichterung einiger Beteiligter vorstellen, als das Ergebnis lautete:
„Zwar müssen Krankenkassen als Körperschaften schon länger E-Rechnungen annehmen können, aber nur dann, soweit sich diese auf öffentlich ausgeschriebene Leistungen beziehen (vgl. § 4a EGovG für den Bund sowie die entsprechenden Landesgesetze). Dies gilt nicht im Verhältnis ARZ-Krankenkasse. Sozialrechtlich im Rahmen des SGB V gibt es ergänzend den § 359a SGB V, worin die Verwendung von E-Rechnungen für „Nicht-Sachleistungen“ geregelt ist.“
Offensichtlich hatten die verantwortlichen Ressorts im Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und Bundesfinanzministerium (BMF) diese Prozesse bei allen Digitalisierungsbestrebungen nicht im Blick. Der Fokus im BMF lag nämlich auf steuerbaren B2B-Umsätzen, im BMG auf der Digitalisierung der Verordnungen, nicht auf der Abrechnung.
Froh darüber nahm die Technische Kommission ergänzend in das Protokoll die Notiz auf „Mangels konkreter bzw. unfertiger Spezifikationen der gematik ist hier noch einiges zu tun, spielt jedoch im Sachleistungsprinzip – wie in der konkreten Fragestellung – keine Rolle“.
Das verwundert doch sehr. Denn die gematik war bisher beim Thema „Abrechnungsprozess“ ausdrücklich nicht eingebunden. Im Gegenteil, deren Gesellschafter haben noch vor wenigen Jahren im Zuge der Einführung des E-Rezeptes sogar deutlich gemacht, dass sich das Unternehmen nicht um die Abrechnung kümmern müsse, schließlich gäbe es dafür etablierte Dienstleister.
Warum nun dieser Verweis auf die gematik? Versucht man die Verantwortung für die schleppende Digitalisierung der Rechnungsstellung bewusst von sich zu schieben, wissend, dass dort aktuell weder Ressourcen noch Know How vorliegen?
Versucht man, mit dem Festhalten an der Papierrechnung, die im Paragraph 300 SGB V festgeschrieben Direktabrechnung zwischen Apotheken und Krankenkassen zu blockieren? Entweder aus Angst um ein Geschäftsmodell oder aus Angst vor steigenden Rechnungszahlen, aber immer auf Kosten von Apotheken und Versicherten. Schließlich blockiert eine komplizierte und verzögerte Abrechnung häufig schon heute eine schnelle Belieferung.
Mit dem Protokoll-Hinweis „TOP erledigt“ ist eine erneute Beschäftigung in naher Zukunft nicht avisiert. Einfach unglaublich! „Erledigt“ macht allen Apotheken und Beitragszahlern klar, wir wollen den Status quo und die Papierrechnung behalten. Gleichgültig, ob der Postweg länger dauert oder Zahlungsziele später enden, gleichgültig, ob die Aufwände für eine Zettelprüfung größer sind als die eines Datensatzes und das Papier vor sich hinarchiviert.
„Erledigt“ ist hier gar nichts!
Wir reden über die Notwenigkeit effizienter Prozesse, mehr Nachhaltigkeit, Bürokratieabbau und den Nutzen digitaler Möglichkeiten, wir schimpfen über die mangelnde Innovationskraft und den fehlenden Willen unser Land zukunftsfähig auszurichten.
Sind wir dabei ehrlich zu uns selbst, wenn solche Institutionen, wie die Technische Kommission sich im Klein-Klein verkämpfen und keinen Willen zur Gestaltung haben?
Man hätte ja auch die bereits heute zu jeder Papierrechnung versandte elektronische Rechnung im EDIFACT-Standard sowie die begleitenden PDF-Dokumente sofort als zunächst ausreichend definieren und ein Startdatum für die offizielle E-Rechnung im zeitgemäßen XML-Format in 2025 nennen können. Steuern werden übrigens auch auf diesen Rechnungen ausgewiesen.
Seit Mitte 2023 setzt der GKV-Dienstleister spektrumK das Verfahren erfolgreich ein. Jede Woche werden E-Rechnungen für Arzneimittel erstattet. Aber nein, die Kommissionsmitglieder bestehen selbst beim E-Rezept auf eine Papierrechnung als zahlungsbegründende Unterlage. Um auf Nummer sicher zu gehen, erklärt man die Übermittlung von E-Rechnungen sogar für unzulässig. Größer kann die Schere zwischen Anspruch an effiziente Prozesse und der bürokratischen Wirklichkeit nicht sein.
Verantwortliche mit der Erarbeitung eines Vorschlags sowie der Abstimmung mit den Ministerien und zum Beispiel den Aufsichtsbehörden, wie dem Bundesamt für Soziale Sicherung zu betrauen, wäre eine denkbare Alternative gewesen.
Wenn das also nicht funktioniert, dann sind politische Vorgaben notwendig. Sonst dauert die Veränderung zu lange und kostet zu viel Geld. Auch vor diesem Hintergrund sehe ich die Digitalagentur als zukünftige und zukunftsfähige Option. Vielleicht können bis dahin die beiden Ministerien noch in dieser Legislatur mit einer entsprechenden Verordnung eingreifen.
Matthias Mieves hat vergangene Woche im Bundestag erneut angesprochen, was ihn stört: „…, dass es immer noch zu viele Faxgeräte gibt, dass wir nicht alle Vorteile der Digitalisierung und der Künstlichen Intelligenz nutzen“. Die Politik ist also gedanklich so weit. Nur scheinen einige Akteure im Gesundheitswesen die Notwendigkeit der Veränderung als scheinheiliges Lippenbekenntnis zu benutzen.
Hintergründe zur E-Rechnung
Eine E-Rechnung übermittelt Rechnungsdaten nicht auf Papier oder als Bilddatei (wie etwa ein PDF), sondern als strukturierten und maschinenlesbaren XML-Datensatz. Dadurch wird sichergestellt, dass die vom Rechnungssteller erstellten Informationen elektronisch versendet, empfangen und ohne Medienbrüche automatisiert verarbeitet werden können, um eine reibungslose Auszahlung zu ermöglichen. Ab 2025 wird die E-Rechnung auch verpflichtend für Unternehmen eingeführt. Ziel dieser E-Rechnungspflicht ist es, die Transparenz und Effizienz der Rechnungsstellung zu erhöhen und den Verwaltungsaufwand zu senken. Diese Maßnahme ist ein Bestandteil des Wachstumschancengesetzes, das am 27. März 2024 im Bundesgesetzblatt verkündet wurde. Das Gesetz soll das wirtschaftliche Wachstum und die Digitalisierung in Deutschland fördern und beinhaltet neben steuerlichen Entlastungen auch zahlreiche Maßnahmen zur Vereinfachung und Digitalisierung administrativer Prozesse.
Scanacs hat bereits 2022 gemeinsam mit SpectrumK die E-Rechnung für Arzneimittel eingeführt. In Kombination mit der Direktabrechnung führt das für Apotheken dazu, dass Sie Ihre E-Rezepte in Echtzeit abrechnen können und von einen schnellen Zahlungsfluss profitieren. Die Vision von scanacs ist es, die Rezeptprüfung und -abrechnung auf Echtzeit zu beschleunigen und so die Liquidität und Wettbewerbsfähigkeit der Apotheke zu stärken.
Über die Technische Kommission
Die Technische Kommission gemäß § 300 SGB V ist ein Gremium, das von dem GKV-Spitzenverband sowie dem Deutschen Apothekerverband eingerichtet wurde. Neben den Standesvertretungen können auch Vertreter von Rechenzentren an den Sitzungen der Technischen Kommission teilnehmen. Zu den Kernaufgaben der Technischen Kommission gehört die Definition technischer Vorgaben für die Abrechnung von Verordnungen. Sie entwickelt Standards und Leitlinien für Datenformate, Schnittstellen und Sicherheitsanforderungen, um eine reibungslose Abwicklung der Abrechnungsprozesse zu garantieren. Darüber hinaus unterstützt die Technische Kommission bei der Fehlerbehebung und Optimierung bestehender Abrechnungssysteme und sorgt dafür, dass die technischen Abläufe der Abrechnung laufend aktualisiert und an gesetzliche Vorgaben und technologische Entwicklungen angepasst werden.