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„Time is Pharmacy“ – Warum die Vor-Ort-Apotheke jetzt handeln muss: Ein Gespräch mit Dr. Schamim Eckert auf der expopharm 2025

Frau Dr. Schamim Eckert ist Fachapothekerin für Arzneimittelinformation, Inhaberin der Glocken-Apotheke in Neu-Anspach und seit Januar 2025 Vizepräsidentin der Landesapothekerkammer Hessen. Sie engagiert sich seit vielen Jahren politisch für bessere Rahmenbedingungen für öffentliche Apotheken – insbesondere in den Bereichen Vergütung, wirtschaftliche Unabhängigkeit und Nachwuchsförderung. Im Rahmen der scanacs-Gesprächsinitiative Treffpunkt Direktabrechnung – Expertise und Dialog“ teilt Frau Dr. Eckert auf der expopharm 2025 mit uns ihre Sicht auf die Rolle der Vor-Ort-Apotheke, die Herausforderungen im heutigen Apothekenbetrieb – und erklärt, warum die Zeit für Veränderungen jetzt ist.

scanacs: Liebe Frau Dr. Eckert, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für unser Interview nehmen. Sie sind Apothekerin mit mehreren Vor-Ort-Apotheken und auch politisch engagiert. Wie sehen Sie aktuell die Rolle der öffentlichen Apotheke?

Dr. Eckert: Die Rolle der Vor-Ort-Apotheke war, ist und bleibt zentral im Gesundheitssystem. Wir sind die erste Anlaufstelle – für alle Menschen, von Geburt bis zum Lebensende. Ob die Mutter, die aus dem Krankenhaus entlassen wird und am Samstagvormittag eine Milchpumpe braucht, das Neugeborene mit Koliken, oder später die Versorgung im Sterbeprozess – wir begleiten die Menschen in allen Lebensphasen. Diese Nähe, diese Fürsorge – das kann kein anderer übernehmen außer wir selbst.

scanacs: Trotzdem kämpfen viele Apotheken mit wirtschaftlichem Druck, und immer mehr schließen. Was sind aus Ihrer Sicht Maßnahmen, um die wirtschaftliche Stabilität zu sichern?

Dr. Eckert: Es gibt leider wenig, was wir selbst wirklich beeinflussen können. Natürlich spielt die Lage der Apotheke eine große Rolle – aber viele andere Faktoren liegen außerhalb unserer Kontrolle. Durch den Onlinehandel hat sich unser Schwerpunkt stark auf verschreibungspflichtige Arzneimittel zulasten der gesetzlichen Krankenkassen verlagert. Und hier sind wir zwar eingetragene Kaufleute – aber ohne unternehmerische Freiheit. Einkaufspreis, Kontingente, Verkaufspreis – alles wird uns vorgegeben.

Seit 2004 haben wir in 21 Jahren nur 25 Cent Honoraranpassung erhalten. Im gleichen Zeitraum sind die Kosten um 60 bis 80 Prozent gestiegen. Dazu kommt der wachsende bürokratische Aufwand, Lieferengpässe, Recherchen – wir werden von unserer eigentlichen Aufgabe abgehalten. Ohne politische Unterstützung wird es schwer, hier wirtschaftlich gegenzusteuern.

scanacs: Das klingt nach einer massiven Schieflage. Spielt Digitalisierung für Sie eine Rolle, um wirtschaftlich effizienter zu werden?

Dr. Eckert: Unbedingt – vor allem im Backoffice-Bereich. In einer meiner Apotheken arbeiten wir bereits mit modernen Kommissionierautomaten, die Prozesse automatisieren und Personalressourcen schonen. Auch bei Softwarelösungen, etwa für Buchhaltung, SEPA-Einzüge oder Kontenabgleich, leistet Digitalisierung heute sehr viel. Im Frontoffice – also im direkten Patientenkontakt – bleibt der Mensch aber unersetzlich. Hier kann keine KI eine echte pharmazeutische Beratung ersetzen. Und das soll sie auch nicht.

scanacs: Sie sprechen Software an – wie beurteilen Sie die Direktabrechnung als Alternative zum klassischen Rechenzentrum?

Dr. Eckert: Ich bin überzeugt, dass Direktabrechnung das Modell der Zukunft ist. Angesichts unserer wirtschaftlichen Lage und der hohen Kostenbelastung – insbesondere durch Hochpreiser – brauchen wir mehr Liquidität und kürzere Zahlungszyklen. Der klassische Abrechnungsweg ist oft langsam. Je nachdem, wann ein Rezept eingeht, kann es dauern, bis das Geld kommt. Da ist Direktabrechnung ein echter Hebel. Wer 70 bis 80 Prozent Hochpreiser im Sortiment hat, kann damit spürbar entlastet werden.

scanacs: Die Direktabrechnung ist nicht für jede Apotheke relevant. Wie wichtig ist für Sie die Wahlfreiheit?

Dr. Eckert: Wahlfreiheit ist für mich als Demokratin ein Grundprinzip meines Denkens, Lebens und Handelns. Ich möchte in einem System arbeiten, das mir innerhalb sicherer Leitplanken freie Entscheidungen erlaubt – keine Planwirtschaft, in der mir Vorgaben gemacht werden. Deshalb ist es zentral, dass Apotheken zwischen verschiedenen Abrechnungsmodellen wählen können. Nur so erhalten wir unternehmerische Autonomie.

scanacs: Sie waren in diesem Jahr erstmals in Ihrer politischen Rolle auf der expopharm und dem Deutschen Apothekertag. Wie haben Sie die Veranstaltung erlebt?

Dr. Eckert: Es war mein erstes Mal als Vizepräsidentin der Landesapothekerkammer Hessen – und sehr spannend. Ich konnte viele Kolleginnen und Kollegen aus anderen Kammern und Verbänden kennenlernen und erleben, wie der Deutsche Apothekertag funktioniert. Besonders positiv war die Präsenz und Wertschätzung durch Bundesgesundheitsministerin Nina Warken. Im Gegensatz zu den Vorjahren war sie persönlich vor Ort, ist über die Messe gelaufen, hat sich informiert und uns ihr Reformpaket direkt vorgestellt. Das war sehr respektvoll – und eine angenehme Abwechslung zur vergangenen Minister-Ära.

scanacs: Wie bewerten Sie das angekündigte Apothekenreformpaket?

Dr. Eckert: Es greift viele unserer Probleme auf und bietet gute Ansätze. Natürlich gibt es Punkte, bei denen man nachjustieren muss – das hat Frau Warken selbst offen gesagt. Aber die Gesprächsbereitschaft ist da, und das ist ein gutes Signal. Enttäuschend war allerdings, dass die im Koalitionsvertrag angekündigte Honoraranpassung auf 9,50 bis 11 € nicht kam – sie wurde nur vertagt. Das ist ein fatales Signal in einer Zeit, in der Apotheken reihenweise schließen. „Time is Pharmacy“ – je länger wir warten, desto mehr Apotheken geraten in Schieflage.

scanacs: Was ist Ihr Appell an die Branche – worüber sollten wir nächstes Jahr sprechen?

Dr. Eckert: Ich wünsche mir, dass wir uns nicht mehr nur mit Krisenmanagement beschäftigen, sondern mit einer strukturellen Reform unseres Vergütungssystems. Seit 2004 gibt es ein Fixum – doch niemand hat je definiert, wofür es genau steht. Seitdem sind viele neue Aufgaben hinzugekommen, etwa Rabattverträge. Allein 2023 haben wir den Krankenkassen 5,8 Mrd. € gespart. Für diese Leistungen brauchen wir endlich eine separate Vergütung. Jede neue Aufgabe muss künftig auch bezahlt werden.

 Denn: Was nichts kostet, hat keinen Wert. Und unsere Arbeit ist zu wertvoll, um weiterhin unbezahlt zu bleiben.

scanacs: Vielen Dank für das offene Gespräch, Frau Dr. Eckert.

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